«Frauen in der Industrie» – ein Projekt der Condis AG für mehr Gerechtigkeit
Die Condis AG mit Sitz in Rossens im Kanton Freiburg gehört zu den weltweit führenden Herstellern und Entwicklern von Hochspannungsprodukten und -lösungen für Stromnetzinfrastrukturen.
Im Jahr 2018 kehrte das Unternehmen in Schweizer Hände zurück, nachdem es von seinen Angestellten und der Anlagestiftung Renaissance von einem US-amerikanischen Industriekonzern abgekauft worden war.
Im Gesamtkontext von ESG nimmt der soziale Aspekt bei Condis einen wichtigen Platz ein. Das kürzlich lancierte interne Projekt «Frauen in der Industrie» greift hier Herausforderungen auf, mit denen Frauen bei ihrer Arbeit im Industriesektor konfrontiert sind. Dadurch sollen die Arbeitsbedingungen der Frauen im Unternehmen verbessert werden. Von den insgesamt 100 Mitarbeitenden sind 24 Frauen, von denen acht in der Produktion und Logistik tätig sind.
Das Projekt wird seit seinen Anfängen von Vãnia Gomes, Leiterin HR, geleitet. Sie absolvierte die Hochschule für Wirtschaft in Freiburg (HSW-FR), ist auf Human Resources spezialisiert und arbeitet seit sieben Jahren bei Condis. Gemeinsam mit Renaissance konzipierte sie das Projekt und erlebte auch, wie es im Unternehmen aufgenommen und umgesetzt wurde.
Worum geht es beim Projekt «Frauen in der Industrie» hauptsächlich?
Es geht vor allem um Offenheit und den Mut, Themen anzusprechen, die das Leben und die Arbeit von Frauen betreffen. Dieses Projekt spricht sensibilisierende Themen an, wie z. B. die Wechseljahre oder die Ergonomie von Arbeitsplätzen, die speziell an Frauen angepasst werden müssen.
Wie haben die Frauen, aber auch die Männer reagiert?
Nach diversen Befragungen und manchmal recht heftigen Reaktionen stiess das Projekt im Unternehmen rasch auf Akzeptanz. Das Feedback war positiv, nachdem wir den Teams konkrete Massnahmen vorgestellt hatten. Auch der Verwaltungsrat war eine grosse Stütze. Die Frauen konnten alle mühelos zur Teilnahme motiviert werden und wir fanden in einem zweiten Schritt auch den Dialog mit den Männern, die diese Initiative allesamt begrüssten.
Worin bestand die erste Phase des Projekts und was kam dabei heraus?
In einer ersten Phase organisierten wir Rundtischgespräche mit allen Frauen des Unternehmens, an denen jede ihre Gedanken offen, ohne Wertung und in einem angenehmen und ruhigen Klima ausdrücken konnte. Ferner wollten wir ermitteln, welche Themen wir ansprechen und welche Massnahmen im Unternehmen wir ergreifen müssen, um die Arbeitsbedingungen der Frauen zu verbessern. Dabei wurde deutlich, dass das Unternehmen die betroffenen Frauen unabhängig von ihrer Situation und Altersgruppe in ihrer jeweiligen Lebensphase leiten und begleiten sollte. Und hier kommt die Gerechtigkeit ins Spiel.
Gerechtigkeit ist der Grundpfeiler des Projekts. Was genau versteht man darunter?
Die Begriffe Gleichheit und Gerechtigkeit werden oft missverstanden. Bei Gleichheit denkt man sofort an Lohngleichheit, denn das ist ein Begriff, den alle kennen. Bei der Gerechtigkeit geht die Aufgabe des Unternehmens viel weiter: Es muss Frauen befähigen, in den Genuss dieser Gerechtigkeit zu kommen, es muss gleiche Chancen auf Beschäftigung, Beförderung und berufliche Entwicklung bieten und faire, respektvolle Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeitenden gewährleisten. Mit der Umsetzung dieser Sensibilisierungsmassnahmen wollen wir für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Welche konkreten Massnahmen wurden im Unternehmen bereits ergriffen?
Bei den ersten Massnahmen ging es darum, die Produktionsverantwortlichen zu sensibilisieren, damit Arbeitsgeräte installiert und gekauft werden, die dem weiblichen Körperbau angepasst sind. Beispielsweise mussten Bildschirme auf eine entsprechende Höhe ausgerichtet oder geeignete Exoskelette bestellt werden. Die zweite Massnahme bestand darin, alle Damentoiletten mit Abfalleimern und Bindenspendern auszustatten. Auch der Aspekt der Mutterschaft wurde berücksichtigt. Insbesondere wurde offen kommuniziert, dass jede Mutter unabhängig von der Hierarchieebene das Recht hat, ihren Mutterschaftsurlaub bis zum vollendeten sechsten Lebensmonat ihres Kindes zu verlängern, dass ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten während ihrer Abwesenheit innerhalb des Teams aufgeteilt werden, dass ihre Arbeit nach der Rückkehr garantiert ist und dass sie auch Zeit und einen Raum erhält, um ihr Kind zu stillen.
Welche Massnahmen sollen in Zukunft noch umgesetzt werden?
Wir werden demnächst einen Workshop zum Thema Wechseljahre anbieten, denn es handelt sich dabei um einen Lebensabschnitt, der das Wohlbefinden einer Frau erheblich beeinträchtigen kann. Dieser Anlass, der auch Männern offensteht, wird von Dr. Joëlle Zingraff, Co-CEO und Gründerin von The Women Circle, geleitet. Wir haben auch vor, in Zusammenarbeit mit der Women’s Leadership Academy Workshops zum Thema «Frauen in Führungspositionen» ins Leben zu rufen. Und schliesslich wollen wir zusätzliche Rundtischgespräche organisieren, um weitere mögliche Themen zu identifizieren.
Welche ersten konkreten Ergebnisse hat diese Initiative erzielt?
Als Erstes haben wir Offenheit erreicht. Für mich ist dies das wichtigste und nutzbringendste Element überhaupt. Heute ist das Management absolut offen, alle sind engagiert und bringen Vorschläge ein. Wunder entstehen nicht aus dem Nichts: Damit ein solches Projekt erfolgreich sein kann, muss das Management voll dahinterstehen.
Wie wichtig ist ESG bei Condis?
Wir unternehmen seit rund zehn Jahren erhebliche Anstrengungen, um unseren Stromverbrauch zu verringern und unsere CO2-Bilanz zu verbessern. Wir haben bereits diverse Initiativen umgesetzt, darunter die Schulung aller Mitarbeitenden in Abfall- und Recyclingpraktiken, die Einhaltung einer Sicherheitscharta, die Durchführung einer Studie über die Belastung der Mitarbeitenden durch Chemikalien sowie die Teilnahme an verschiedenen ehrenamtlichen und wohltätigen Einsätzen. Dieses Jahr ist es unser vorrangiges Ziel, die Nachhaltigkeit als festen Bestandteil in der Unternehmensstrategie zu verankern. Demnächst werden wir intern und extern einen Fragebogen zu den drei ESG-Säulen an verschiedene Interessengruppen versenden. Im Anschluss daran werden wir für jedes Thema langfristige Ziele und Massnahmenpläne festlegen. Unser Ziel ist es, über eine Nachhaltigkeitsstrategie mit einem konkreten Massnahmenplan zu verfügen.
Gibt es in Bezug auf ESG eine Tendenz, Umwelt und Governance auf Kosten des sozialen Aspekts zu bevorzugen?
Wenn man von Nachhaltigkeit spricht, denkt man tatsächlich in erster Linie an die Umwelt. Beim sozialen Aspekt, der oft vergessen geht, wird zuerst an die Beschäftigung und die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie an die Arbeitsplatzsicherheit gedacht. Aber es gibt zahlreiche weitere Aspekte, wie das Wohlbefinden der Mitarbeitenden, Inklusion, Gerechtigkeit und Diversität. Hier setzt das Projekt «Frauen in der Industrie» an.
Ist es für eine Frau schwieriger, ihre Führungsqualitäten im Industriesektor zu entwickeln?
Es braucht Selbstbewusstsein, um sich in einem männlichen Umfeld zu bewegen, und sich trauen, sich zu behaupten. Frauen sollten sich immer vor Augen halten, dass sie zu Recht an ihrem Arbeitsplatz tätig sind. Denn die Tatsache, dass sie für diese Stelle ausgewählt wurden, bezeugt, dass sie auch die erforderlichen Kompetenzen aufweisen.
Wie bereits erwähnt, bereiten wir Workshops vor, die den Fokus auf weibliche Führungsqualitäten legen. Dabei geht es zentral um so wichtige Themen wie z. B. gekonntes Sprechen, die Kunst, sich selbst Grenzen zu setzen, um eine gute Work-Life-Balance zu wahren, sowie Strategien, sich zu behaupten und den eigenen Platz in einer von Männern dominierten Welt einzunehmen.
Kann ein solches Programm Frauen ermutigen, sich den Teams von Condis anzuschliessen? Stellt es für Condis als Arbeitgeber ein Plus zur Gewinnung neuer Talente dar?
Ja, dieses Projekt kann sich eindeutig positiv auf unseren Ruf als Arbeitgeber auswirken. Dies ist ein Vorteil, den wir z. B. an Recruitment-Messen hervorheben wollen, um mehr Frauen für Ingenieurstellen zu gewinnen. Bislang haben wir nur eine einzige Ingenieurin im Unternehmen. Wir planen auch, unsere Stellenanzeigen besser zu formulieren, damit sie stärker beide Geschlechter ansprechen.