Nachhaltigkeit und KMU: Ein pragmatischer Ansatz der Renaissance Anlagestiftung
Freie Übersetzung des Artikels von Yves Hulmann erschienen auf Französisch am 27. Juni 2023 in Allnews.
Link zum Artikel in Allnews
Christian Waldvogel, Managing Partner von Renaissance, ist überzeugt: Die für börsenkotierte Gesellschaften geltenden Regeln eignen sich nicht für private Unternehmen.
Mit gezielten Massnahmen soll bei börsenkotierten Gesellschaften die Nachhaltigkeit gefördert werden. Doch passen diese Regeln auch zur Situation und zu den Eigenheiten von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)?
Am «Petit déjeuner durable», das Mitte Juni von swiss export und der Neuenburger Handels- und Industriekammer (CNCI) organisiert wurde, trafen sich Unternehmer und Fachleute, um über Themen der Nachhaltigkeit zu diskutieren. Nachfolgend das Interview mit Christian Waldvogel, geschäftsführender Gesellschafter von Renaissance, einer Anlagestiftung, die es Pensionskassen ermöglicht, in nicht börsenkotierte Schweizer KMU zu investieren.
Gemäss einer von swiss export durchgeführten Studie investieren KMU erst mit einiger Zurückhaltung in nachhaltige Zulieferketten. Sie persönlich sind nun der Ansicht, die auf börsenkotierte Gesellschaften ausgerichteten Vorgaben im Bereich der Nachhaltigkeit und der ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Governance) seien ungeeignet für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Welche Massnahmen müssten denn eingeführt werden, damit die KMU in Zukunft vermehrt Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Tätigkeit integrieren?
Es ist erwiesen, dass zahlreiche KMU schon heute bestimmte Aspekte der Nachhaltigkeit berücksichtigen, vor allem um die Anforderungen ihrer Kunden zu erfüllen, meist für börsenkotierte Gesellschaften. So kommt es zu einem «Nachahmereffekt» nach dem Vorbild der kotierten Unternehmen, die ihre Kriterien auf die Zulieferer übertragen. Ich kenne beispielsweise ein Unternehmen, das in der Präzisions-Décolletage tätig ist und ihren gesamten Fertigungsprozess sehr rasch umstellen musste, um seine Produkte weiterhin an grosse Uhrenkonzerne liefern zu können. Für ein KMU ist es undenkbar und ziemlich riskant, die Entwicklungen in Sachen Nachhaltigkeit einfach zu ignorieren.
Müssten denn für KMU andere Vorgaben oder Instrumente entwickelt werden? Es ist ja nicht möglich, dass jedes kleinere Unternehmen einen Nachhaltigkeitsexperten verpflichtet.
Ja, natürlich müssten für die KMU andere Evaluationskriterien erarbeitet und umgesetzt werden. Die für börsenkotierte Unternehmen vorgesehenen Kriterien passen nicht zur Situation von privaten Unternehmen. Aus diesem Grund wurde von der HSW-FR auch das Tool namens «esg2go» entwickelt.
Der Einfluss wichtiger Kunden auf die Entscheidungen oder das Verhalten von KMU darf nicht unterschätzt werden.
Zunächst muss natürlich ein geeignetes Instrument vorliegen, damit es von den KMU tatsächlich akzeptiert wird. Wenn von den KMU verlangt wird, dass sie endlose Formulare auszufüllen und einzureichen haben, machen sie bestimmt nicht mit. Im Gegenteil, die Fragen müssen einfach sein und konkrete, messbare Aspekte betreffen. Sie könnten sich zum Beispiel auf Kriterien wie die Abwesenheitsrate des Personals, die Leistungen der Pensionskasse oder das Vorhandensein eines «Code of Conduct» für die Mitarbeitenden beziehen. Manchmal bezeichnet man mit dem «ESG»-Etikett auch Aspekte oder Massnahmen, die einfach einer guten Governance und Unternehmensführung entsprechen.
Welche Themen sprechen Sie als Anlagestiftung Renaissance bei Ihren institutionellen Kunden an?
Zu unseren Kunden gehören Pensionskassen, und bei ihnen fallen das «S» und das «G» derzeit kaum ins Gewicht, denn diese Kriterien gelten eher als Errungenschaft der schweizerischen KMU, an denen wir uns beteiligen. In Bezug auf die ökologischen Aspekte, das «E», wollen die Pensionskassen heutzutage aber über wirklich zuverlässige Daten verfügen. Sie möchten wissen, wie der CO2-Fussabdruck ihrer Beteiligungsgesellschaften tatsächlich aussieht. Und dies nicht nur im Hinblick auf die ersten beiden Evaluationskategorien oder «Scopes», wie die englische Bezeichnung lautet, sondern auch hinsichtlich des «Scope 3», nämlich der späteren Verwendung eines Produkts oder eines Verfahrens.
Worauf bezieht sich der «Scope 3» bei einem KMU?
Nehmen wir beispielsweise einen Hersteller von Industrieöfen: In diesem Fall muss man auch die Verwendung des Produkts sowie dessen Rezyklierung berücksichtigen, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Diese Evaluierung beschränkt sich demnach keinesfalls auf die Ermittlung des Energie- oder Materialbedarfs. «Scope 3» geht weit über den Tätigkeitsbereich des Unternehmens hinaus und betrachtet den gesamten Lebenszyklus seines Produkts. Für KMU stellt es eine zusätzliche Herausforderung dar, wenn sie Informationen zu diesen Punkten geben sollen.
Wird dies von den Anlegern wirklich verlangt?
Heute erwarten einige Pensionskassen tatsächlich eine vollständige Dokumentation zu diesen Aspekten. Sie können sogar noch weiter gehen und ein komplettes Audit der von uns verwendeten Methoden fordern. Die meisten Pensionskassen verlangen heute neben dem herkömmlichen Finanzbericht auch ein detailliertes ESG-Reporting.
Kann man sich darauf verlassen, dass die Unternehmen die Nachhaltigkeitskriterien freiwillig einhalten, oder müsste man strengere Massnahmen anwenden?
Die Entscheidungen und das Verhalten der Unternehmen werden von diversen Faktoren beeinflusst. Zunächst besitzt der Hauptaktionär einer Gesellschaft natürlich sehr viel Macht und kann bedeutende Veränderungen herbeiführen. Ausserdem spielen auch die Kreditgeber eine Rolle, allen voran die Banken. Die Institute, die den Unternehmen Darlehen gewähren, haben einen grossen Einfluss auf sie und können auf der Grundlage einer positiven ESG-Bilanz vorteilhaftere Zinskonditionen anbieten. Und schliesslich darf der Einfluss wichtiger Kunden auf die Entscheidungen oder das Verhalten von KMU nicht unterschätzt werden. Niemand möchte einen wichtigen Auftraggeber verlieren, weil er einige seiner Forderungen nicht erfüllt hat, eben auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeit. Darüber hinaus müssen Unternehmen heute auch den Erwartungen ihrer Mitarbeitenden nachkommen, die immer aufmerksamer auf solche Aspekte achten. Der Druck kommt in der Regel nicht von einer Ratingagentur oder einer Aufsichtsbehörde, sondern wird vom gesamten wirtschaftlichen Ökosystem ausgeübt, in dem die Unternehmen sich bewegen.
Welche Rolle können Branchenverbände oder Berufsorganisationen spielen, wenn es darum geht, die Unternehmen bei ihren Anstrengungen zugunsten von mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen und zu fördern?
Bei den Pensionskassen und institutionellen Anlegern hat zum Beispiel der Schweizerische Pensionskassenverband (ASIP) bereits Empfehlungen zuhanden der börsenkotierten Gesellschaften herausgegeben. Früher oder später werden diese Empfehlungen bestimmt ausgeweitet, um auch die privat geführten Unternehmen abzudecken und einzuschliessen.
Dr. Christian Waldvogel Managing Partner
Christian Waldvogel ist seit 2003 Managing Partner bei Renaissance Management SA. Er verfügt über Management-Erfahrung auf internationaler Ebene in den Branchen Investment (Intel Capital), Halbleiter (Intel) und Telekommunikation (Eutelsat). Christian Waldvogel besitzt einen PhD der ETH Zürich und einen Bachelor of Science and Engineering der Universität Princeton.
Die 1997 gegründete Renaissance ist die einzige Anlagestiftung für Pensionskassen, die in nicht kotierte schweizerische KMU investieren möchten. Als Partnerin von KMU finanziert Renaissance diverse Unternehmen im Rahmen von Nachfolgeregelungen und Industrial Buy-outs («Spin-offs / Carve-outs»). Aufgrund ihrer Tätigkeit unterstützt Renaissance die schweizerischen KMU und trägt damit zur Schaffung und zur Wahrung von Arbeitsplätzen und von Know-how in der Schweiz bei.